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Oktober 2022

„Steglitzer Pflanze“ ist eine Reihe von Stadtspaziergängen, in denen wir einen intensiven Blick auf die Steglitzer Pflanzenwelt werfen. Dabei gilt unser Interesse weniger den großen stark gestalteten Parkanlagen und botanischen Gärten, sondern vielmehr dem vielfältigem Stadtgrün auf Plätzen, Friedhöfen, Hinterhöfen und Vorgärten. Wir durchstreifen die Kieze zwischen Steglitzer Kreisel, Feuerbachstrasse und Südende und betrachten die Kulturhistorie verschiedenster Orte aus der Perspektive von Pflanzen.

Schild geschützte Grünanlage mit Graffiti Palme in einem Vorgarten

Die ersten Landpflanzen gab es auf der Erde schon vor etwa 450 Millionen Jahren. Die Existenz der Menschen begann erst 449,7 Millionen Jahre später.

115.000 v. Chr. begann die letzte Eiszeit, die Weichseleiszeit. Riesige Gletschermassen kamen aus Skandinavien bis in die Region Berlin/Brandenburg. Nachdem sie bis 10.000 v. Chr. geschmolzen waren, hinterließen sie Geröll und Sand, aus denen die Moränenplatten des Teltow im Süden und des Barnim im Norden entstanden. Dazwischen bildete sich durch das abfließende Schmelzwasser das Berliner Urstromtal mit der Spree in der Mitte.

In der folgenden Warmzeit entwickelten sich hier eine Vielzahl von Auwäldern, Menschen kamen und bereits um 2000 v. Chr. war die Region dicht besiedelt. Im 5. Jahrhundert wanderten die Germanen aus und die Slaven wanderten ein. Diese waren vermutlich auch die Namesgeber für das im 13. Jahrhundert entstandene Dorf in der sumpfigen Landschaft an der Spree: Birlin (Berlin) „Ort in einem sumpfigen Gelände“.

Eiszeitrelikt Hambuttenpfuhl mit Pflanzen verwilderte Treppe

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wuchsen im Zuge der industriellen Revolution nicht nur Berlin selbst, sondern auch die Vorortgemeinden explosionsartig an. Steglitz, der slawischen Interpretation nach ein „Ort, wo es Stieglitze gibt“ und als eigenständige Gemeinde im 13. Jahrhundert gegründet, bot dennoch viel Platz für Baumschulen, Obstgärten und Seidenplantagen. 1920 wurde Steglitz gemeinsam mit anderen rund um Berlin liegenden Kleinstädten und Vorortgemeinden zu dem Großstadtkomplex zusammengefasst, den wir heute kennen.

Naturdenkmal Maulbeerbaum Althoffplatz über hundertjährige Eiche mit Gedenkstein

Grünflächen entstanden in der zunehmend dichter werdenden Stadt anfangs fast ausschließlich nur zu repräsentativen Zwecken bis Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Bestrebungen aufkamen, im Grünen nicht nur zu flanieren, sondern sich auch zu erholen. Ab der Jahrhundertwende entwickelte sich so das Stadtgrün von einem reinem Ziergrün zum sozialem Grün, das für die gesamte Bevölkerung nutzbar war. Es entstanden nutzungsorientierte Stadtplätze, die neben Schmuckelementen auch Ruhezonen und Spielplätze beinhalteten. Um für eine breite Bevölkerungsschicht eine aktive Betätigung im Freien zu fördern, wurden mit Sportplätzen und großen Volksparks Möglichkeiten zur körperlichen Ertüchtigung geschaffen und darüberhinaus große Flächen für Kleingärten zur Verfügung gestellt. 1915 kaufte der kommunale Zweckverband Groß-Berlin beachtliche Waldflächen, wie z.B. den Grunewald, um sie der Bodenspekulation zu entziehen und als ökologisch wertvolle Naherholungsgebiete zu erhalten. Auch beim Neubau von dringend benötigten Wohnungen wurde in den entstehenden Siedlungen reichlich Platz für Grünflächen geschaffen. Nach und nach entwickelte sich mit dem Flächenwachstum des öffentlichen Grüns eine zunehmende Wertschätzung des Großstadtgrüns. Die Grenzen zwischen dicht bebauten Stadtgebiet und grünem Umland lösten sich langsam auf.

Teich in der Grünanlage Lauenburger Platz Naturdenkmal Blutbuche Althoffplatz

Dennoch wurden im Zuge der stetig wachsenden Stadt mit der Zeit große Teile der Wälder abgeholzt, natürliche Landschaften abgetragen und Kleingärten reduziert. Die Nationalsozialisten beendeten mit ihrem wahnhaften Stadtumbau die Weiterentwicklung einer grünen Stadt und durch den zweiten Weltkrieg sind viele Grünanlagen und ein großer Teil des Baumbestandes vernichtet worden. Auch in der Nachkriegszeit trugen stadtweite Umbauten wie z.B. der Ausbau der autogerechten Stadt zu starken Flächenversiegelungen bei.

Friedenseiche vor dem Steglitzer Kreisel alter Baum mit Betonstehlen eingefasst

Die Pflanzenvielfalt hat sich im Laufe der Geschichte stark geändert. Neophyten verbreiteten sich, also all die Pflanzen, die nach 1492 bewusst oder unbewusst aus anderen Kontinenten nach Europa gebracht wurden. Diese Bestimmung ist relativ willkürlich, weil Menschen schon früher die Natur wesentlich beeinflusst haben, zum Beispiel mit den Fällen der Wälder, um Ackerfelder zu erzeugen oder bei großen Wanderungen wurden Samen von Pflanzen mitgenommen und an anderen Orten angepflanzt. In den letzten Jahrzehnten hat sich dieser Prozess wesentlich beschleunigt und die Artenvielfalt ist in den Städten heutzutage sogar bedeutend größer als an den meisten bewirtschafteten Feldern. Trotzdem stehen ca. 30% der wilden Stadtpflanzen unter Naturschutz oder sind als gefährdet eingestuft.

Götterbaum Sprösslinge auf einer Baumscheibe wild wachsende Sträucher um ein Naturheilpraxisschild

Wir Stadtbewohner behandeln die Pflanzen eher als Mobiliar. Sie dienen als Schattenerzeuger, Luftreiniger oder Schmuck. Wir katalogisieren sie, geben ihnen Nummern und stellen ihnen streng gestaltete Flächen zur Verfügung, an denen sie wachsen können. Die Pflanzen selbst finden aber auch eigene Wege sich fortzupflanzen, zu überleben und sich zu bewegen. Genauso wie Menschen. Wir scheinen unterschiedliche Lebensrhythmen zu haben, aber unser Leben ist stark miteinander verknüpft, auch wenn wir uns dessen im Alltag nicht bewusst sind.

3 Nummerierungsschildchen auf einem Baum Baumwurzel, die Schäden auf einem Gehweg verursacht

Berlin gilt heute als eine grüne Stadt. Mehr als 30% der Berliner Gesamtfläche besteht aus Wald und öffentlichen Grünflächen, zu denen neben knapp 2600 Grün- und Erholungsanlagen auch Friedhöfe, Kleingärten sowie sogenanntes Strassenbegleitgrün gehören. Dazu kommen weit über 400.000 Strassenbäume. An vielen Orten wie z.B. stillgelegten Bahnarealen, ehemalige Schuttbergen, kleineren Durchgangswegen, Schul- und Friedhöfen, Hausgärten und Brachen konnte sich aufgrund ihrer vielfältigen Struktur im Laufe der Jahrzehnte eine sehr große Artenvielfalt der Pflanzen- und Tierwelt entwickeln. Trotzdem ist es gerade vor dem Hintergrund des sich vollziehenden Klimawandels enorm wichtig so viele Freiflächen wie möglich zu erhalten, zu pflegen und darüberhinaus auch neue zu schaffen. Die dringend erforderliche Nachhaltigkeit im Städtebau beruht vor allem auf dem Stadtgrün. Eine reichhaltige Vegetation sowie unversiegelte Böden wirken als Schadstofffilter und Grünflächen aller Art regulieren die städtischen Temperaturen. Denn zuletzt können Pflanzen zwar ohne uns überleben, wir aber nicht ohne die Pflanzen.

wild wachsende Pflanzen zwischen Gehwegplatten Spross, der aus einem Baumstumpf wächst

Spaziergänge

Spaziergang I (1./3./8.10.2022)
vom S-Bahnhof Südende zum Friedhof Steglitz, Dauer ca. 2h

Spaziergang II (2./3./9.10.2022)
vom S-Bahnhof Feuerbachstrasse durch das Bismarckviertel zum Rathaus Steglitz, Dauer ca. 2h

Karte mit Standortmarkierung
  1. S-Bahnhof Südende, Startpunkt Tour I
  2. Hambuttenpfuhl (Eiszeitrelikt), 
ehemaliger Standort des großen Parkrestaurants Südende
  3. Karutschenpfuhl (Eiszeitrelikt), Teil der Parkanlage der ehemaligen Villa Eduard Mamroth, heute Musikschule Leo Borchard
  4. Jochen-Klepper-Park, im angrenzenden Schulgelände befindet sich der Sembritzkipfuhl (Eiszeitrelikt)
  5. Kottesteig nach Karl Kotte, Betreiber von Obstgärten in der Umgebung im 19. Jahrhundert
  6. Rauhe Berge, in der Eiszeit entstandene Höhenzüge, ab Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend abgetragen
  7. Feuer- und Rauchlose Siedlung, 1930-34 erbaute Wohnanlage der Moderne mit viel Platz für Grünanlagen
  8. Kleingärtenvereine Schutzverband e.V. und Rauhe Berge e.V.
  9. Wasserturm Steglitz, errichtet 1919. Angrenzend befand sich die von den Nationalsozialisten errichtete Ehrenhalle incl. Aufmarschplatz, 1945 abgerissen, heute ist Gras über die Sache gewachsen.
  10. Parkfriedhof Steglitz, eröffnet 1875, bis 1976 auf die heutige Größe erweitert


  11. S-Bahnhof Feuerbachstraße, Startpunkt Tour II
  12. Körnerstraße nach Fritz Körner, Betreiber einer Baumschule in der Umgebung im 19. Jahrhundert
  13. Lauenburger Platz (Gartendenkmal), 1910 angelegter Schmuckplatz mit Teich und Kinderspielplatz
  14. Friedrichsruher Platz, begrünter Platz um die 1919 fertig gestellte Lukaskirche (Baudenkmal)
  15. Joachim-Tiburtius-Brücke (Baudenkmal), fertiggestellt 1971, Zubringer zur A103
  16. Althoffplatz, 1906 angelegter Schmuckplatz mit Kinderspielplatz

    Naturdenkmale: 2 Blutbuchen (Pflanzdatum ca. 1906) und 1 Maulbeerbaum (Pflanzdatum ca. 1840)
  17. Plantagenstraße, erinnert gemeinsam mit der Filanda- und Heesesstraße an die Maulbeerplantage zur Seidenraupenzucht, die von Johann Hesse in der Umgebung 1840-1889 betrieben wurde.
    
Naturdenkmale: Gemeine Stechhülse (Pflanzdatum zwischen 1888-98) und Bergahorn (Pflanzdatum zwischen 1878-98)
  18. Südendstraße 1 (Baudenkmal), Mietshaus von 1896 mit ausgeprägt floraler Schmuckgestaltung
  19. A103, 1969 fertiggestellte Schnellstraße parallel zur Stamm- und Wannseebahn
  20. Naturdenkmal: Friedenseiche (Pflanzdatum ca. 1871) vor dem Hochhauskomplex „Steglitzer Kreisel“
wild wachsender Ruccola Baum auf dem das Wort alt steht

Impressum

Steglitzer Pflanze
Ein künstlerisches Stadtforschungsprojekt von Nika Radić und Georg Spehr

© Oktober 2022 Nika Radić und Georg Spehr

Gefördert vom Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf (Fachbereich Kultur) im Rahmen von Draussenstadt 2022
Logo bezirksamt Steglitz-Zehlendorf Logo Fachbereich Kultur Steglitz-Zehlendorf Logo Draussenstadt

Vielen Dank an Inga Böttner (Freilandlabor Britz e.V.) und Robert Fußwinkel (Straßen- und Grünflächenamt Berlin Steglitz-Zehlendorf) für die fachliche Beratung.

Schwarzplan über https://swzpln.de/

Kontakt:
https://www.nikaradic.com/
https://tonophonie.de/

Kontakt: gruen@tonophonie.de